
Die Frauen, die die Pekinger Universität nicht verlassen konnten wegen SARS, sehen durch die Gitter eines verschlossenes Eingangs, der polizeilich gewacht wird. Über 2000 Angestellten werden beobachtet nach Symptome der Erkrankung. Foto - ČTK/AP
Zwischen den Radfahrern, von denen nur wenige Mundschutztücher tragen, lässt sich für einen Moment vergessen, dass sich Peking im Ausnahmezustand befindet. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat für die Hauptstadt des Reichs der Mitte Reisewarnung wegen des Ausbruchs einer unkontrollierten Epidemie erteilt. Die Stadtregierung setzte noch am Mittwochabend Notverordnungen in Kraft. Sie darf jedes Gebäude, Hotel oder Geschäft isolieren, abriegeln und jeden Markt schließen lassen, wenn dort jemand mit der Lungenseuche SARS entdeckt wird. Am Donnerstag, um ein Uhr früh morgens, treten die Verordnungen erstmals in Kraft. Das Volkskrankenhaus der Pekinger Universität mit über 2000 Angestellten wird wegen SARS-Fällen unter Quarantäne gestellt, Straßenbarrikaden werden aufgebaut. Die Polizei lässt niemanden mehr hinein oder hinaus. Die Lage ist außer Kontrolle geraten.
Peking hat sich von einem Feind in Bedrängnis bringen lassen, den es nicht sieht. Aber es hört ihn. Dem Virus folgen Gerüchte auf dem Fuß. „Was man 1000 Mal nachplappert, wird zur Wahrheit“, warnt ein chinesisches Sprichwort. Die Gerüchte breiten sich schneller als das Virus aus, millionenfach als SMS-Message oder über E-Mail. Am Mittwoch haben sie die Pekinger glauben lassen, dass die ganze Stadt unter Quarantäne gestellt würde. Die Menschen reagierten mit Angstkäufen. Alle Boulevardzeitungen drucken Dementis und zeigen Fotos von tonnenweise nachgelieferten Vorräten. „Das nützt nichts“, sagt einer der Verkäufer am Zeitungsstand. „Die Leute glauben der Regierung ohnehin nichts mehr und lesen auch die Presse nicht. Die meisten bleiben einfach zu Hause.“
Ich schaue dem Fluss der Radfahrer zu. Die eben noch entspannte Atmosphäre wirkt auf einmal unheimlich. Eigentlich müsste doch jetzt Rush-hour sein, in der normalerweise bis zu zwei Millionen Wagen unterwegs sind. Auf Pekings Straßen aber ist am Donnerstag so wenig Verkehr wie sonst nur Sonntags. Ein Grund sind die geschlossenen Schulen. 1,7 Millionen Kinder und Jugendliche bleiben zu Hause. Nur wer unbedingt arbeiten muss, ist noch unterwegs. 100 Meter weiter auf dem Fahrradweg sehe ich Menschenschlangen vor dem Kaufhaus Jing Kelong. Öffnung ist um acht Uhr. Alte Männer und Frauen stehen an. „Wir wollen Salz kaufen.“ Sie wollen sich den Mund mit Salzlauge ausspülen. „Das ist gut gegen das Virus.“ Angstkäufer haben sich auch mit Eiern versorgt. Ihr Preis hat sich über Nacht verdoppelt. Auf den Großmärkten sind am Donnerstag früh Eier, Kartoffeln, Zwiebeln und Reis knapp - aber nicht, weil sie ausverkauft sind. Spekulanten nutzen die Furcht der Städter, horten die Vorräte und verdienen sich eine goldene Nase. aus: DW